Verordnung zur Klimaberichterstattung: Kaum eingeführt schon veraltet?
von Benedikt Gratzl
Per 1. Januar 2024 ist die Vollzugsverordnung des Bundesrats zur Klimaberichterstattung für grosse Schweizer Unternehmen in Kraft getretenen. Die ersten Klimaberichte von Schweizer Unternehmen, die sich danach richten, sind noch nicht einmal erschienen. Trotzdem ist der Bundesrat schon heute der Meinung, es sei angebracht, die Vollzugsverordnung anzupassen und hat dazu im Dezember 2024 eine Vernehmlassung gestartet.
Die ersten Klimaberichte werden im Frühjahr 2025 erscheinen und sich voraussichtlich in den allermeisten Fällen nach Massgabe der in der Verordnung enthaltenen (rechtlich unverbindlichen!) «Vermutung» des Bundesrats nach den Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) richten.
Zusätzlich zur klassischen Auslegung von TCFD, die sich auf die Risiken fokussiert, ist nach der Verordnung zur Klimaberichterstattung das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit bei der Klimaberichterstattung anzuwenden[1]. Damit sind in den Klimaberichten der Schweizer Unternehmen sowohl die direkten und indirekten Auswirkungen der Geschäftstätigkeit des Unternehmens auf das Klima (insbesondere also alle Treibhausgasemissionen) als auch die mit dem Klimawandel für das Unternehmen einhergehenden finanziellen Chancen und Risiken zu behandeln. Zusammengefasst werden diese beiden Aspekte unter dem Begriff «Klimabelange».
Wo sieht der Bundesrat bereits wieder Handlungsbedarf?
Im Juli 2023 gab das Financial Stability Board (FSB) bekannt, dass die Arbeit der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) abgeschlossen ist in die IFRS Sustainability Disclosure Standards integriert werden. Im Oktober 2023 wurde dies bereits umgesetzt. Der neue entsprechende Standard heisst IFRS S2.
Faktisch gibt es somit bereits heute die TCFD bzw. ihre Empfehlungen als eigenständiges Regelwerk nicht mehr. Das Regelwerk wird also auch nicht mehr weiterentwickelt. Der Bundesrat schlägt deshalb in der neuen Verordnung vor, dass «die Pflicht zur Berichterstattung über Klimabelange künftig erfüllt sein [soll], wenn diese nach einem international anerkannten Standard oder nach dem in der Europäischen Union verwendeten Standard über die Nachhaltigkeitsberichterstattung erfolgt.»
So zentral diese für die Politik wäre: Die CO2-Steuer fehlt, also soll es die Lenkung der Finanzströme richten.
Die Welt wie auch die Schweiz kennt bis heute keine umfassende Besteuerung von Treibhausgasemissionen. Die mit den Emissionen verbundenen negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft und Umwelt bleiben «unbestraft», entsprechende Güter und Dienstleistungen zu billig und der Konsum dieser Güter und Dienstleistungen zu hoch. Die Politik setzt – nicht nur in der Schweiz – deshalb auf eine Lenkung der Finanzströme.
Die Vernehmlassungsvorlage des Bundesrats zur Anpassung der Verordnung zur Klimaberichterstattung enthält entsprechend Mindestanforderungen an die Netto-Null Fahrpläne (vormals «Transitionspläne») der Finanzbranche. Sie soll «soweit dies möglich und sachgerecht ist, quantitative, anlageklassen- und sektorenspezifische, wissenschaftsbasierte Absenkungsziele, inklusive konkrete und messbare Zwischenziele sämtlicher relevanter Treibhausgasemissionen und Ausbauziele für klimaverträgliche Technologien» definieren und mit entsprechenden Masssnahmen konsequent verfolgen.
Dazu hat sich die Schweizerische Bankiervereinigung im letzten Sommer in ungewohnt deutlicher Manier klar geäussert: «Bei einer abweichenden Klimaregulierung des Finanzsektors, insbesondere bei regulatorisch beschleunigten Transitionsplänen für Finanzflüsse, besteht zudem die Gefahr, dass dem Finanzsektor die Rolle einer Klimapolizei zugewiesen wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Finanzierung rechtlich zulässiger Aktivitäten verboten oder stark eingeschränkt wird. Diese Rolle können und wollen Banken nicht übernehmen.»
Ein technisches, aber potenziell teures Detail:
Der Bundesrat wünscht gemäss Vernehmlassungsentwurf, dass die Umsetzung der Klimaberichte aller Schweizer Unternehmen nicht nur maschinenlesbar, sondern auch in einem elektronischen Format erfolgen soll, das eine Publikation auf einer internationalen Plattform erlaubt. Dieses technische Detail scheint auf den ersten Blick unproblematisch, könnte aber noch teuer werden.
Denn auch hier gilt: So logisch es für uns alle scheint, dass im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz von Hand gefütterte Datenbank überholt sein sollen, so ungewiss ist heute noch, ob die EU beispielsweise den geplanten European Single Access Point (ESAP) – ein zentrales europäisches Register für Unternehmens-, Finanz- und Nachhaltigkeitsinformationen – auch wirklich zeitgerecht umsetzen wird und wie die Unternehmen die Daten für die Plattform zur Verfügung zu stellen haben. Ursprünglich für Ende 2024 geplant, wurde der Zieltermin bereits auf den Sommer 2027 verschoben.
Der Bundesrat will gemäss Vernehmlassungsentwurf die geplante Anpassung der Verordnung zur Klimaberichterstattung jedoch schon per 1. Januar 2026 in Kraft setzen. Die Klimaberichte der Unternehmen zum Geschäftsjahr 2026 müssten die Verordnung somit erstmals berücksichtigen. Wenn alles nach Plan läuft, wäre das also «just in time» für den ESAP…
Unser Fazit:
Die vom Bundesrat geplante Anpassung der Verordnung zur Klimaberichterstattung will Klärung schaffen und die Finanzbranche disziplinieren. Sie orientiert sich stark an den EU-Vorschriften – wie dies auch bei der Anpassung des OR im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung geplant ist. Klarheit schafft sie aber nicht. Zu gross sind die heute noch die Ungewissheiten – gerade auch rund um Pläne der EU bzw. ihre Umsetzung in die Realität.
[1] Siehe Erläuterungen des EFD zur Verordnung (Fassung vom 23.11.2022), Seite 8:
Absatz 2 präzisiert die gemäss Artikel 964b Absatz 1 und Absatz 2 Ziffer 4 OR geforderte sogenannte «doppelte Wesentlichkeit» insoweit, als sowohl die Auswirkungen von Klimabelangen auf das Unternehmen, als auch die Auswirkungen der Tätigkeit des Unternehmens auf den Klimawandel in die Berichterstattung einzufliessen hat.